Liebe Freunde, liebe Kollegen, liebe Follower, liebe Partner,
ich bin dankbar für das – zugegeben – aufregende Jahr 2013, welches fast hinter uns liegt. Ich habe mit Euch gemeinsam viel erlebt. Teilweise sind wir daran gewachsen, teilweise hatten wir Gesprächsstoff für spannende Diskussionen. Teilweise haben wir längst verloren geglaubte Freundschaften wieder gefunden, weil wir aufeinander zugegangen sind. Danke dafür!
Ihr habt mich zuletzt als besonders kritischen Menschen erlebt. Ein vielleicht auch plötzlich anderer John, der gerade in diesen Zeiten das politisch erlebte nicht gut heißen wollte. Ich habe immer mehr wirklich sehr deutliche Worte verwendet. Worte, die für jemanden, der die Themengebiete, in denen ich zuhause bin nicht kennt, äußerst befremdlich klingen mögen. Vielleicht helfen diese Zeilen ein wenig, diesen „John“ zu verstehen.
Wir sind alle in diesem besonderen Jahr 2013, ein Stück schlauer geworden. Der eine mehr, der andere weniger. Die Arroganz zu behaupten, ich hätte das alles schon gewusst, hätte ich untermauern müssen. Ich würde wohl eher behaupten, ich hätte es geahnt. Spätestens Ende 2012, als @ioerror (Jacob Appelbaum) zum 29C3 in Hamburg seine Keynote gehalten hatte wurde aus der Ahnung Gewissheit:
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In dem Moment, wo ich diese Zeilen schreibe, muss ich folgendes in meiner Twitter-Timeline lesen: „Agenten verfolgen Snowden-Vertrauten Jacob Appelbaum in Berlin“. Das passt gerade mal so gar nicht in mein Textkonzept, ich bin doch etwas konsterniert. Ich lasse das also einfach mal so unkommentiert stehen und rauche mir eine, dann geht’s weiter.
Mich enttäuscht nicht die Tatsache, dass wir unter dieser Überwachung leben müssen. Mich entsetzt viel mehr der Umgang der deutschen Bevölkerung und Politik mit diesem Zustand. Ich wünschte, das Wissen über die Technologie, die wir alle nutzen, wäre viel breiter in der Gesellschaft verankert. Wie wenig Interesse, ja wie viel Wissen ist überhaupt da?
Manchmal bin ich jedoch auch entsetzt, wie viel Wissen mir noch fehlt. Es ist nicht komplett. Das sind ganz allgemeine Dinge. Ich möchte viel, viel mehr wissen. Doch finde ich immer weniger Menschen, die mit mir Antworten geben. Zum Beispiel über den 2+4 Vertrag, den NATO-Doppelbeschluss, den deutschen Herbst. Leider sind da noch weniger, die wissen warum wir damals dringend Unterstützung durch Gastarbeiter benötigten. Wie hat sich das angefühlt? Auch für unsere Gäste? Wie und warum kam es zur Machtergreifung? Was ist in der Weimarer Republik passierte und wieso ist das schiefgelaufen? Wie kann sich eine ganze Gesellschaft nach einem Krieg in ihrer Gesinnung innerhalb einer Dekade um 180° drehen? Wie funktioniert das? Wie ist der Verfassungsschutz entstanden? Wer kann mir heute eine Antwort geben? Genau diese eine Antwort, genau so dass ich mir mein eigenes, ganz persönliches, subjektives Bild machen kann.
Ich höre und lausche gespannt und nehme alles auf. Wann immer es geht. Es sind solche, wirklich sehr seltenen Momente, die ich voll und ganz genießen kann: Ich sitze eines Tages im Rahmen einer Messe mit einer Flasche Jack Daniels und vielen, vielen Davidoff’s auf einer Bank eines furchtbaren Hotels in Köln, mit einem unheimlich interessanten Menschen, und lausche gefesselt seinen Erzählungen und seinen Erlebnisse vom Mauerbau, über den 27.10.1961, über Studentenbewegungen, bis hin zum deutschen Herbst. Ich lerne. In kurzer Zeit sehr, sehr viel. Vielen, vielen Dank dafür! Ich wünsche auf diesem Wege einen verdienten, wunderschönen Ruhestand!
Offenbar hebe ich mich damit vom Mainstream ab. Schwimme gegen den Strom. Ecke an. Ich habe tatsächlich kein Interesse an Dieter Bohlen’s nächster Show. Ich verspüre keinerlei Wunsch an der Begaffung Heidi’s widerlichen Knallchargen-Programms, das an gekünstelter Oberflächlichkeit keinerlei Wünsche offen lässt, teilweise sogar sehr verletzend ist. Ich möchte die Geissens nicht kennen. Ich kann da nicht mithalten. Ich erkenne den Wert für mich nicht. Ich bin sogar der Meinung, dass dieses Programm, diese Berieselung anderen oder mir schaden könnte. Ich verspüre auch keinerlei Interesse an Einbahnstraßen-Medien, die ihre Propaganda klar durchblicken lassen.
„Heute bekomme ich kein Foto.“
Eine erschreckende, in Teilen leider sehr wahre Gesellschaftsstudie über den von mir erlebten Bildungsstand dieser Gesellschaft ist: „Fack Ju Göthe“. Dieser Film ist bezeichnend. Elemente dieses Films finde ich wieder, in vielen Erlebnissen die ich hatte. Ich will einfach nicht verstehen wollen, warum der Wille an Bildung und Wissenserlangung über unsere Gesellschaft und unsere Geschichte so gering ist:
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Dann freue ich mich wieder über die vielen aufmerksamen, gespannten Zuhörer in meinen Workshops oder zu den Premiumpartnertagen, in denen ich eben genau diese Dinge ansprechen darf. Die überwältigenden Rückmeldungen haben mir geholfen und mir auch gezeigt, dass es eben nicht vergebene Liebesmüh ist, technische Themen und Datenschutz anzusprechen. Ich freue mich über ein Gespräch mit einem lieben Freund der Familie, der aufmerksam zuhört und alles mitnimmt, was ich ihm mit meinen Worten näher bringen darf. Ich freue mich über eine Beziehung, die ich haben durfte und denke gerne daran zurück. Mit einer wunderbaren Person, von der ich von der anderen Seite des Gazastreifen aus Erzählungen leider auch Erschreckendes, teilweise verstörendes erfahren durfte.
Wünschenswert ist für mich allemal, dass alle meine Freunde hinterfragen. Nachlesen. Suchen. Sich informieren. Warum ist das so. Hat der Nachrichtensprecher recht. Hat jene Zeitung recht, die ich vielleicht sogar als Schmierblatt betitele. Habe ich (John) recht. Wie sind die Zusammenhänge. Warum wird Kritik geäußert und ist diese überhaupt berechtigt. Was sind die Konsequenzen. Nutzt das Netz – Es ist ein Geschenk!
Ich bin dieses Jahr – zugegeben – viele Male persönlich angegriffen worden, teilweise auch leicht unter der Gürtellinie. Ich bin deshalb nicht böse. Ich habe Verständnis dafür, wenn über meine sehr direkten Äußerungen an politischen Manövern Kritik geübt wird. Allerdings sollte die Kritik technologisch, sachlich oder politisch korrekt sein. Wenn das der Fall ist, freue ich mich sogar über ein gutes Streitgespräch, immer dann, wenn es nicht persönlich wird.
Hier stand zuvor ein Textelement, dass ich auf Bitten entfernt habe. Es ging hierbei um Antisemitismus und das Leugnen des Holocaust.
Bitte erlaubt mir jedoch, dass ich direkt und sehr harsch reagiere, wenn ich ähnlich herablassende Äußerungen höre. Wir dürfen es nicht dazu kommen lassen, dass sich gewisse Elemente aus unserer Geschichte noch einmal wiederholen. Eben genau deswegen darf niemals vergessen werden und wir müssen offen darüber sprechen. Es gibt mit Sicherheit Grenzen in der Integrationspolitik, die nachvollziehbar sind. Da ist zum Beispiel jede Form von „Ismus“, mit der ich nicht klar komme. Dazu gehört ein Salafismus, genauso wie ein Faschismus. Um so wichtiger ist es, wenn Du merkst, dass einer Deiner Freunde rechten Parolen nahe steht, dass Du Aufklärung verlangst und eine helfende Hand oder einen Streit bietest. Egal, ob es seine Mitgliedschaft in einer politischen Organisation wie die NPD ist, die Zugehörigkeit zu Kameradschaften wie z.B. den Kyffhäusern, oder Erzählungen von einer Fahrt auf sogenannte „BuMs-Treffen“ sind, welche weniger mit dem wirklich schönen Wort „Bumsen“ zu tun haben, denn mit Burschen- und Mädchenschaften, oder ob es nur eine vermeintlich einzige, herablassende Äußerung über Menschen mit Migrationshintergrund ist.
Fernab von rechten Gesinnungen wünsche ich mir viel mehr, dass endlich verstanden wird, dass wir dringend Menschen brauchen, die uns die Wahrheit sagen. Sie sind absolut schützenswert. Wir brauchen sie. Um uns, mir und Dir, die eine, unbequeme, ungeschminkte, zweite, wichtige Meinung zu bieten. Eine helfende Hand, die uns aus der Sackgasse führt. Ein jemand, der einem Freund sagt, dass er gerade gewaltig Mist baut.
So hat mich neben der netzpolitischen Lage stellvertretend für alle, mich bewegenden Erlebnisse ein eindrucksvolles Bild ganz besonders bewegt. Es sind zwei wunderschöne, große, braune Augen einer bildhübschen, wunderbar starken Frau hinter Gittern.
Nadeschda Tolokonnikowa, Bildrechte: Reuters
Und so denke ich mir, ich sollte stolz und dankbar sein, dass ich in meinem Land meine teils herablassende Meinung über politische Führungskräfte, wie Merkel, Pofalla, Friedrich oder Gabriel in diesem Jahr äußern durfte. Wie würde es mir wohl ergehen, wenn ich so in Moskau gebloggt hätte? Bitte erlaubt mir, dass ich genau deswegen weiterhin kritisch, teils aus Eurer Sicht unverschämt poste. Dass ich versuche, Missstände in Sachen Datenschutz, Freiheit und Demokratie anzuprangern. Hinterfragt mich. Streitet mit mir. Noch mehr freue ich mich jedoch, wenn meine seltenen Zeilen Euch ab und zu zum Nachlesen und informieren bewegen. Ich möchte in meinem Land, auf dem Boden dieser Republik sicher vor Verfolgung sein. Ich möchte auch weiterhin nicht, dass von Seiten irgendwelcher Dienste in meine Privatsphäre eingedrungen wird.
Für 2014 wünsche ich mir, dass Menschen Freiheit zurückerlangen, die sie wahrlich verdient haben. Und das nicht aus politischer Willkür. Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft die Rolle des jetzt fehlenden, parlamentarischen Kontrollgremiums übernimmt und anfängt, zu hinterfragen. Ich wünsche mir, dass Lobbyarbeit aufgedeckt wird, und dass dem in unserem Land herrschenden Sozialdarwinismus etwas nennenswertes entgegengesetzt wird. Ich wünsche mir selbst mehr Wissen über die Vorgänge innerhalb des EU-Parlaments. Ich wünsche mir verantwortungsvollen, respektvollen und würdevollen Umgang mit Whistleblowern. Ich wünsche mir, dass Gerechtigkeit Vorrang vor kapitalistischen Zwängen bekommt. Ich wünsche mir, dass Kommunikationswissenschaften ab der Sekundarstufe 1 zum Pflichtfach werden. Ich wünsche mir, dass Netzneutralität ebenso geschützt wird, wie Trinkwasser.
Auch wenn ich mir bewusst bin, dass Deutschland in dieser Branche eine gewisse Bedeutung hat, wünsche ich mir, dass neben Kriegswaffen auch Software, welche „Lawful Interception“-Angriffe, -Zensur oder -Überwachung ermöglichen, ebenfalls unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallen und letzteres transparenter für die Bürger gemacht wird.
Danke!
Mein ganz besonderer Dank gilt in diesem Jahr Edward Snowden, für seine schonungslose Aufklärung, und Glenn Greenwald für seine journalistische Höchstleistung. Ich danke Tactitcal Technology Collective für ihre wichtige Arbeit und dem CCC im besonderen für seine Rolle als verlässliche Stütze in dieser Zeit.
Ich danke allen meinen Freunden für die Freundschaft und die guten Gespräche in 2013. Für manche wünsche ich mir sogar, dass 2013 endlich vorbei ist und 2014 endlich beginnt. Ich danke ganz besonders denjenigen Menschen, die mich freundschaftlich und helfend gestützt haben, als ich dieses Jahr erstmals an meiner persönlichen Belastungsgrenze angekommen bin. Dankbar bin ich meiner wunderbaren Schwester, die es in diesem Jahr mit eindrucksvollen Worten tatsächlich geschafft hat, mir einen Spiegel vorzuhalten.
Dein/Euer John.